Fall Nr. 4 der „Kärntner Mordsbullen“
Klicken Sie auf das Cover, um zur Bestellseite zu gelangen!
Klappentext
Wie verschlägt es den Klagenfurter Chefinspektor Fuchs in das unterirdische Wien?
Der Fingerabdruck eines mehrfachen Mörders, den er seit Langem sucht, ist in der Bundeshauptstadt aufgetaucht – auf der Hülle eines äußerst verstörenden Videos. Rasch muss Fuchs erkennen, dass ihm nicht nur der Gesuchte sein Spiel aufzwingen will, auch ein Teil der Wiener Kollegen verhält sich alles andere als kooperativ. Ihm zur Seite stehen ein Oberst aus Granit, ein exzentrischer Privatdetektiv und eine tschetschenische Kriegerin. Bunte Truppe.
Dann gerät sogar Fuchs selbst unter Verdacht. Mit einem Mal geht es ganz im Wortsinn so heiß her, dass sein Leben keinen Wiener Kreuzer mehr wert scheint – und das tief unter der Oberfläche der alten Kaiserstadt.
Ist der Fuchs schlau genug, um sich aus der tödlichen Falle zu befreien?
Jetzt bestellen …
Rezension
Von Christiane Kördel
Format: Kindle Edition
Chefinspektor Fuchs aus Klagenfurt, wird an die Kriminalpolizei Wien ausgeliehen, quasi in Leiharbeit verpflanzt, direkt aus dem Sommerurlaub heraus. Das schmeckt ihm nicht, der Rückhalt seiner Truppe fehlt ihm. Abgesehen davon würde er für diesen Fall deutlich mehr investieren als nur den Jahresurlaub. Grund für Fuchs‘ Abberufung ist ein einzelner Fingerabdruck, der im Zusammenhang mit dem tödlichen Autounfall einer bekannten Schauspielerin entdeckt wird. Der Fingerabdruck auf der Hülle einer Porno-DVD wirkt wie platziert, gehört er doch zu dem Mehrfachmörder Breuer, für den eine solche Nachlässigkeit ungewöhnlich wäre. Allerdings soll selbst dem versiertesten Verbrecher mal ein Fehler unterlaufen sein. Fuchs ist Breuer-Spezialist schlechthin, naheliegend also, dass er ran muss. Naheliegend auch, dass er bis in die Haarspitzen motiviert ist, den Oberschurken endlich aufzuspüren und dingfest zu machen. Der ist nach dem letzten Fall abgetaucht. Es gibt Szenarien, wie Breuer inzwischen nach Schönheits-OPs aussehen könnte. Kurz: Fuchs muss mit allem rechnen, und darin ist er gut. Typbedingt macht er auch nicht viel Aufhebens darum.
Peter Bergmann verfrachtet uns mitten hinein ins atmosphärische Wien, sorgt für Hitzewelle über der Erde und Gänsehaut darunter, wenn er uns in die mehrstöckigen Katakomben abtauchen lässt. Kopfkino vom Feinsten. Die Abläufe in Wien folgen eigenen Regeln und die kennt Fuchs nicht gut genug. Er tut gut daran, keinem zu trauen, weder innerhalb und schon gar nicht außerhalb der Polizei. Unter diesen verschärften Bedingungen schlägt er sich gut.
Chefinspektor Fuchs hat Ecken und Kanten, trinkt und raucht zu viel, ist auf den ersten Blick Marke „erfahrener einsamer Wolf“, der nicht immer den Befehlen folgt und – wie man es an solchen Ermittlertypen schätzt – zielstrebig sein Ding durchzieht. Auf den zweiten Blick ist Fuchs eher ein „sozial eingebundener einsamer Wolf“. Gekonnt schafft er sich in Ermangelung seiner Truppe vor Ort ein neues Netz, kommt mit dem klar, was ihm zur Verfügung steht. Alleine, das wird ihm nur zu schnell klar, kommt er in fremdem Terrain nicht weit. Die improvisierten Kooperationen sind so kreativ wie unterhaltsam. Gut gefallen hat mir zum Beispiel die kleine messerstechende Tschetschenin, die sich bestens im unterirdischen Wien auskennt, sowie der Klagenfurter Kollege der Marke „Skilehrer“, der Fuchs aus der Ferne eine große Stütze ist, wenn er nicht gerade einem Rock hinterher hüpft.
Wundervoll, dass seit langem einmal wieder jemand vom Postamt Faxe verschickt und von öffentlichen Fernsprechern aus telefoniert … was soll man auch machen, wenn Handy, Hotelzimmer & Co von Freund oder Feind verwanzt, überwacht und ausspioniert werden?
Peter Bergmann schreibt umwerfend. Der Krimi zog mich gleich in seinen Bann. Bewundernswert die Fähigkeit, ganze Szenen auf wenige Sätze herunterzubrechen. Da sitzt jedes Wort, das schafft Tempo und lässt den Leser nicht von der Angel. Spannung von der ersten bis zur letzten Minute.
Jetzt bestellen …
Leseprobe
1___
Der Gebäudekomplex wuchs am Rand einer ausgedehnten Grünfläche empor wie eine graue Drohung. Aus einem Teil der höher gelegenen Wohneinheiten bot sich ein fantastischer Blick über Wien. An diesem heißen Tag verlor er durch die flirrenden, mit Abgasen aufgeladenen Luftschichten allerdings viel von seinem Reiz.
Sonntags lag der Innenhof der unfertigen Anlage wie ausgestorben in der prallen Sonne. Sandhaufen, Stapel leerer Paletten, Baumaschinen, rostige Eisenmatten und Gerüstteile zeichneten eine erstarrte Arbeitswelt.
Niemand dachte sich etwas dabei, als der Lieferwagen mit den verschmutzten Nummernschildern auf der Baustelle eintraf. Niemand dachte sich etwas dabei, als der Lenker ihn hinter einer Schuttmulde abstellte, gut abgeschirmt zur Einfahrt. Niemand dachte sich etwas dabei, weil dieser Ort zu dieser Zeit nicht mehr Aufmerksamkeit erregte als die Rückseite des Mondes.
Zwei Männer sprangen aus dem Van, der Fahrer groß und hager, der andere von durchschnittlicher Statur. Sie trugen Arbeitsmonturen mit Schildkappen und spiegelnde Sonnenbrillen, außerdem Staubmasken. Sie öffneten die Heckklappe des Lieferwagens und zogen längliche Tragtaschen heraus, die sie umhängten, ehe sie den nächstgelegenen Block über eine Bretterrampe betraten. Das Innere des Gebäudes roch nach frischem Beton. Zugluft strich durch die zahlreichen Maueröffnungen, die man irgendwann mit Türblättern und Isolierglas verschließen würde.
Schweigend und zielstrebig stiegen die beiden Männer über nackte Betonstufen bis ins oberste Geschoss und besichtigten der Reihe nach die ostseitigen Räume, als ob sie sich auf Wohnungssuche befänden.
„Der ist perfekt“, entschied schließlich der Größere. Sein Begleiter nickte.
Sie öffneten ihre Taschen und entfalteten stabile Stative, die sie in die Nähe der Fensteröffnungen trugen. Eines bestückten sie mit einer Kamera mit 300-mm-Teleobjektiv, das andere mit einem langläufigen Gewehr mit Zielfernrohr. Die Sonne befand sich in ihrem Rücken, für einen Beobachter tief unten mussten sie im Halbschatten des Raums unsichtbar bleiben.
Der Größere nahm die Sonnenbrille ab. Man sah von seinem Gesicht über dem Maskenrand nun dunkle Augen, die in diesem Moment so hart in die Welt blickten, dass der Beton rundum dagegen weich wirkte. Der Kleinere steckte seine Brille ebenfalls in die Brusttasche, ehe er durch den Sucher blickte und die Kamera in Position brachte.
„Wann werden wir starten?“, erkundigte er sich nebenhin.
„Nächste Woche.“
„Die Schauspielerin?“
„Ja. Hast du etwas gefunden?“
Der Fotograf gab ein schmatzendes Geräusch von sich, möglicherweise beim Gedanken an die Schauspielerin, dann konzentrierte er sich auf seine Aufgabe.
„Die große Sandkiste, Commodus. Da hocken drei.“
Commodus sah durchs Zielfernrohr.
„Die sind gut. Fang mit den Fotos an.“
„Nimmst du den Türken?“
„Das Mädchen in der Mitte.“
„Niedliche Kleine“, sagte der Fotograf mit einem Anflug von Bedauern.
„Eben deshalb. Ich zähle von fünf auf null.“
Susi spielte mit Ahmed und Karin, ihren Lieblingsfreunden.
„Jetzt backen wir Kuchen für meine Geburtstagsparty“, entschied sie. Ahmed füllte gehorsam die grüne Plastikform mit Sand und kippte sie schwungvoll auf das Sitzbrett, wo statt des Kuchens ein formloser Haufen entstand.
„Du musst mehr Wasser nehmen“, ermahnte ihn Susi. Sie reichte ihm den kleinen bunten Eimer. Ahmed strahlte sie an.
„Ich brauche auch Wasser“, mischte Karin sich ein.
„Gleich“, sagte Susi gönnerhaft. „Jetzt ist Ahmed dran.“
Susanne, Susis Mutter, beobachtete ihr Kind mit abgöttischer Verehrung. Susi war strahlend hübsch, klug und bezaubernd. Das räumten sogar die anderen Mütter ein. Susanne hörte ihnen gerne zu. Zwar langweilte es sie, wenn sie von ihren eigenen Kindern sprachen – eine erstaunliche Ansammlung kleiner Genies –, doch hin und wieder fiel auch ein Lob für Susi ab. In Susannes Leben gab es sonst nicht viel, worüber sie sich freuen durfte. Der Kindsvater ein Tagedieb, die Kindergartentante eine hochnäsige „Pädagogin“ und der Chef im Supermarkt ein notorischer Grapscher, der für jede kleine Gefälligkeit eine handfeste Gegenleistung forderte.
Susi lächelte Ahmed an, dessen Sandkuchen immer besser gelangen. Karin zertrat zwei davon und schlug die Hände vors Gesicht, als ob es ihr furchtbar peinlich wäre. Dann lachte sie. Karins Mutter lachte ebenfalls und ganz ähnlich.
Von den Grills der türkischen Familien trieben Duftwolken durch den Park. Manche einheimische Parkbesucher schimpften über den Gestank – so routiniert, wie sie auch über jedes beliebige Wetter schimpften.
Susanne betrachtete Susi und nickte zu den endlosen Sätzen von Ahmeds Mutter, vor der sie sich ein wenig fürchtete. Sie war dick, dunkel und temperamentvoll. Außerdem begleitete sie ihren Wortschwall mit heftigen Gesten und Susanne glaubte fest daran, dass sich diese Gesten rasch in Ohrfeigen verwandeln würden, wenn man an der falschen Stelle nickte oder den Kopf schüttelte. Sie versuchte ihr Nicken deshalb stets so anzulegen, dass man es allenfalls auch für ein Schütteln durchgehen lassen konnte. Heraus kamen unklare, für Susanne wenig vorteilhafte Kopfbewegungen.
Die drei Kinder saßen nebeneinander auf dem Randbrett der Sandkiste. Susi, wie gewöhnlich, in der Mitte. Sie erzählte vom Bauernhof ihrer Großeltern in der Steiermark und ließ die armselige Kate mit ihrem klapprigen Hühner- und Schweinestall zu einem prachtvollen Gut wachsen. Unzählige seltene Tiere lebten dort, sogar Pfauen, Tiger, Elefanten und Gnus.
„Gnus!“, rief Karin. „Du meinst Kuhs.“
„Du bist dumm“, stellte Ahmed fest. „Das heißt Kühe. Gnus sind afrikanische Kühe und viel besser.“
Susi lachte und wurde in ihr Lachen hinein von einer unsichtbaren Faust zwei Meter weit nach hinten geschleudert. Susanne sah sie auf dem hellen Kies aufschlagen. Der Kies färbte sich rot. Sie stieß einen Schrei aus und rannte zu ihrer Tochter, doch in Susis weit aufgerissenen dunkelblauen Augen spiegelte sich kein Leben mehr, nur noch der graublaue Himmel von Wien. Mitten in ihrer Stirn klaffte ein Loch. Susanne schrie. Der Park verstummte kurz und allen Leuten, die ihre Schreie hörten, lief trotz der Hitze ein kalter Schauer über den Rücken.
Den Schuss hatte niemand gehört. Er war von einem Scharfschützengewehr mit Schalldämpfer abgefeuert worden, die verwendete Unterschallmunition verursachte keinen Geschossknall.
Der Fall schlug hohe Wellen, nicht nur in Wien. Eine Vierjährige, von einem professionell ausgerüsteten Sniper aus dem Hinterhalt ermordet, zwischen ihren gleichaltrigen Freunden herausgeschossen wie eine Blume an der Schießbude – das erschien monströs. Es kam kein Motiv zum Vorschein, keine Streiterei ums Sorgerecht, keinerlei Hinweis auf kriminelle Verstrickungen. Die Mutter war eine schlichte, grundehrliche Person, der Vater ein harmloser, unbedarfter Pendler zwischen Arbeitsamt und Fußballplatz. In ihrer Beziehung gab es weit und breit kein nennenswertes Vermögen, keine verbotenen Geheimnisse und keine sexuellen Perversionen. Nicht einmal ein haarfeiner Draht zur russischen Mafia konnte nachgewiesen werden, die von einer Zeitung allein deshalb ins Spiel gebracht worden war, weil einige Tage zuvor in Wien-Schwechat ein Austausch von Spionen stattgefunden hatte. Vom Mörder fand sich keine Spur. Der Rohbau, aus dem er geschossen hatte, wurde tagelang gründlich durchsucht – ohne brauchbares Ergebnis.
Man befürchtete, dass es sich um einen Irren handelte, der nur zu seinem Vergnügen tötete. Ein Kommentator titelte: Killer aus Spaß an der Freud?
Dann erschütterte ein Erdbeben den Großraum Tokio und ein Passagierjet mit einer österreichischen Reisegruppe an Bord stürzte über dem Atlantik ab.
Das galoppierende öffentliche Bewusstsein verlor Susi rasch aus dem Blick.
2___
Zwei Wochen nach dem Mord jagte eine junge Schauspielerin ihren Sportwagen mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Wien. Tränen strömten über ihre Wangen. Der Audi TT Roadster preschte durch die Nacht, getrieben von dreihundertsechzig PS-Teufeln, die ihr Gasfuß hemmungslos herausforderte. Nur mit Mühe hielt sich das Geschoss aus Blech auf dem schwarzen Band der niederösterreichischen Landstraße. Eine Kompanie Schutzengel sorgte dafür, dass niemand sonst in diesen Minuten rasenden Wahnsinns unterwegs war. Auf einer langen Geraden schaltete die junge Frau in den höchsten Gang und beschleunigte das Kraftpaket auf weit über zweihundert Stundenkilometer. Die alte Erle am Feldrain machte nicht zum ersten Mal Bekanntschaft mit einem fehlgeleiteten Auto, doch diesmal kostete es sie selbst das Leben. Der TT kam in zwei Metern Höhe angeflogen und kappte sie.
Mona Mohr war auf der Stelle tot. Die Unfallursache: überhöhte Geschwindigkeit. In solchen Fällen wird auch Selbstmord in Betracht gezogen, ein getarnter Suizid, den die Hinterbliebenen als Unfall betrauern können. Diese Variante schied nach menschlichem Ermessen aus. Mohr zählte zu jenen Glückskindern, die gar keine andere Wahl haben, als eine große Karriere zu machen, es lag ihr einfach im Blut. Temperament, Fleiß, Charme, Disziplin, Natürlichkeit, Ausstrahlung, Erotik, alles passte zusammen. Und sie hatte eine fünfjährige Tochter, an der sie mehr hing als an ihrem Leben. Kaum vorstellbar, dass sie es vorsätzlich weggeworfen hätte. Die öffentliche Anteilnahme war erheblich, marktschreierisch und verlogen wie immer, wenn Journalisten und Politiker ihre tiefe Betroffenheit über das Unglück eines Menschen zum Ausdruck bringen, den sie nur oberflächlich oder überhaupt nicht gekannt haben. Mohr erhielt trotz ihrer Jugend ein Ehrengrab der Stadt Wien, ein Privileg, für das mancher Wiener Prominente auf der Stelle freiwillig gestorben wäre.
3___
Piet Penta saß in seinem Arbeitszimmer und surfte auf Sammler-Webseiten, von deren Existenz nur Eingeweihte wussten. Nicht weiter verwunderlich, da die vorgestellten Objekte weder einen materiellen noch einen ästhetischen Wert besaßen. Sie besaßen einen Wert ausschließlich für Leute, die mit alten Hosenknöpfen und gesprungenen Holztellern fantastische Geschichten verbanden. Kleine Brücken in die Vergangenheit, die die Ausschüttung von Sammlerglückshormonen bewirkten. Was aber nur bei wenigen Menschen funktionierte.
Die Sprechanlage rauschte und eine Stimme forderte: „Herr Penta, bitte in mein Büro.“
Penta drückte auf die Sprechtaste und sagte: „Sofort.“
Er setzte ein Lesezeichen, schlüpfte in seine Jacke und begab sich in das angrenzende Zimmer. Es handelte sich um den ehemaligen Salon des Starhovsky’schen Stadtpalais. Nach einigen ruhmreichen Jahrhunderten und etlichen weniger ruhmreichen Dekaden war er in das Chefbüro der Detektei Starhovsky umgewandelt worden. Auch das lag mittlerweile Jahrzehnte zurück.
Der alte Graf und sein Besucher, dessen Ankunft Penta vor einer Viertelstunde am Rande registriert hatte, blickten ihm entgegen. Der mutmaßliche Kunde sah aus wie ein verspäteter Yuppie um die vierzig, trug italienische Slippers und einen grauen Maßanzug, hatte kurzes, blondes Haar, braune Haut, blendend weiße Zähne und einen müden, aber extrem unruhigen Blick. Er saß auf der Kante eines Biedermeierlehnstuhls und wirkte wie eine Rakete unmittelbar vor dem Abschuss. Penta hätte seine Schlüssel-ohne-Schloss-Sammlung verwettet, dass ein einziges Fingerschnippen ausgereicht hätte, um den Mann bis an die getäfelte Decke springen zu lassen.
Der Chef thronte in seinem Lederstuhl hinter dem riesigen Schreibtisch. Er strahlte eine Gelassenheit aus, die einem wohl nur 800-jähriger Adel und eine unerschöpfliche Erfahrung mit den Abgründen der menschlichen Seele verliehen.
Er sagte: „Das ist Piet Penta, Herr Mohr. Er ist mein fähigster Mitarbeiter.“
Allein der Klang seiner Stimme wirkte wie Valium, fand Penta, doch bei Mohr verfehlte er offensichtlich seinen Effekt. Der Besucher nickte Penta so kurz und heftig zu, als käme es ihm auf einen Nackenwirbel mehr oder weniger überhaupt nicht an.
„Herr Mohr ist Banker, ich kenne ihn schon länger, er hat eine DVD mitgebracht. Nach dem, was er mir bislang erzählt hat, sollten Sie sie auch sehen. Seine Schwester ist tödlich verunglückt. Er hat die DVD in ihrer Wohnung gefunden.“
„Mona Mohr. Ich habe davon gelesen“, sagte Penta. „Mein Beileid.“
Mohr nickte nochmals und nicht weniger heftig als zuvor.
„Würden Sie …“, bat Starhovsky und deutete auf die Silberscheibe, die am Rand seines Tisches lag. Penta nahm sie, ging zu dem großen Flachbildschirm an der Wand gegenüber dem Schreibtisch und legte die DVD ein. Er rückte einen der Sessel zurecht und setzte sich.
„Ich will nicht hinsehen“, murmelte Mohr und starrte aus dem Fenster.
Der Film begann mit der schlichten Einblendung des Namens ‚Mona Mohr‘.
Die Schrift verschwand und ein großes kreisrundes Bett erschien, schwarz bezogen und hell beleuchtet, wie eine Bühne. Davor standen in einem Halbkreis schwere Polsterstühle, in denen Männer in roten Tuniken saßen, Penta zählte fünf. Glänzende weiße Harlekinmasken bedeckten ihre Gesichter. Eine junge Frau trat an das Podest. Sie zog ihre Schuhe aus und stieg hinauf. Penta kannte sie von Fotos in Zeitungen und im Internet, Fotos, auf denen sie für die Kameras posierte oder die sie auf Theaterbühnen zeigten. Auf der Bühne in diesem Film lächelte sie, ohne einen der Männer anzusehen. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid. Mit einer raschen Bewegung öffnete sie den Reißverschluss im Nacken und ließ es auf das Laken gleiten. Ebenso rasch streifte sie die Strümpfe ab, mehr hatte sie nicht an. Ihr Lächeln änderte sich dabei für keine Sekunde, es blieb wie ein wenig verrutscht in ihrem Gesicht festgeklebt und an niemand Bestimmten gerichtet. Sie stand da, hob die Arme über den Kopf und drehte sich langsam um die eigene Achse. Dann sank sie nieder. Der Mann in der Mitte des Halbkreises erhob sich, legte seine Tunika ab und betrat nackt die Bühne. Die Maske behielt er auf. Die angestrengt fröhliche Miene der jungen Frau erschien ebenso maskenhaft wie die Larven der Männer. Gehorsam erfüllte sie seine Wünsche. Ein Zweiter gesellte sich zu dem verschlungenen Paar.
Starhovsky stoppte den Film.
„Das reicht fürs Erste. Wir werden dieses Machwerk noch eingehend nach Anhaltspunkten analysieren, doch das erfordert nicht Ihre Anwesenheit, Herr Mohr.“
Er wandte sich an Penta. „Herr Mohr will verhindern, dass der Name seiner Schwester in den Schmutz gezogen wird, umso mehr, als er und seine Gattin sich jetzt um ihre kleine Tochter Klara kümmern. Vor allem anderen verdient das Kind jeden Schutz, den man ihm zu bieten vermag. Man kann sich leicht vorstellen, was passiert, wenn auch nur ein Gerücht über die Existenz dieses Videos an die Öffentlichkeit gelangt. Wir werden den Auftrag übernehmen. Herr Mohr will wissen, wer diese Männer sind und ob die DVD mit dem Tod seiner Schwester zusammenhängt.“
„Sollte das der Fall sein, würde es zu einem Verfahren kommen“, bemerkte Penta.
„Sollte das der Fall sein“, griff Starhovsky seine Formulierung auf, „dann handelt es sich um eine außergewöhnlich perfide Angelegenheit, dann sollen die Verursacher entsprechend dafür büßen. Stellen Sie Ihre Fragen.“
Penta dachte nach. Mohr sah ihn an, nicht mehr ganz so angespannt wie vorhin. Der Detektiv wählte seine Worte sorgfältig.
„Ihre Schwester scheint da freiwillig mitzumachen, Herr Mohr. Dennoch ist es offensichtlich, dass sie keinerlei Freude daran empfindet. Können Sie sich vorstellen, womit man sie zur Teilnahme an einer solchen ‚Veranstaltung‘ gezwungen haben könnte?“
„Nennen Sie es ruhig Gangbang“, sagte Mohr rau. „Mona hatte einige Beziehungen, Künstler sind da ja ohnehin locker.“
Als seriöser Banker konnte er damit nicht einverstanden sein, das spürte Penta deutlich – ohne sich an der Kombination von Banker und seriös zu stoßen.
„Aber“, fuhr Mohr fort, „sie wäre eher gestorben, als sich mit einer Horde Maskierter einzulassen.“
„Dennoch hat sie sich darauf eingelassen. Womit konnte man sie dazu bringen?“
Der Banker überlegte. „Mir fällt nur Klara ein. An Klara hing sie mehr als an irgendjemand anderem.“
„Jetzt kümmern Sie sich um Klara, was ist mit dem Vater?“
„Unbekannt“, erwiderte Mohr schmallippig. „Mona hat uns nie verraten, um wen es sich handelt.“
„Sie hegen keine Vermutung?“
„Keine. Sie hatte viele Freunde, ich kannte sie gar nicht alle. Wir standen uns nicht sehr nahe, sie erzählte mir nie, wer nur ein Bekannter war und wer mehr als das.“
„Hat sich Ihre Schwester in der Zeit vor dem Unfall verändert oder eine Bedrohung oder Sorge erwähnt?“
„Sie hatte sich verändert. In der letzten Woche vor ihrem Tod machte sie eine depressive Phase durch. Relativ gesehen.“ Er fing Pentas verständnislosen Blick auf. „Sie kannten sie nicht. Mona war ungemein lebensfroh. Wenn sie nicht ständig lachte, stimmte etwas nicht.“
„Und plötzlich hörte sie auf zu lachen?“
„Ja. Und sie blieb auch mehr zu Hause – wir wohnen gemeinsam in unserem Elternhaus, es ist groß genug, sonst wüsste ich das alles nicht. Sie verbrachte ihre ganze Freizeit mit Klara, die sie zuvor gerne bei uns abgegeben hatte, um auszugehen und sich zu amüsieren.“
„Erfuhren Sie den Grund für Ihren Stimmungswandel?“
Mohr zuckte die Achseln.
„Nein. Mona redete niemals über ihre Probleme, jedenfalls nicht mit uns.“
Er versuchte erstmals ein Lächeln. „Wir waren ihr zu spießig.“
Starhovsky fragte: „Könnte ihre depressive Phase mit diesem Ereignis zu tun gehabt haben?“
„Das ist naheliegend. Vielleicht brachte das Video das Fass zum Überlaufen. Sie erhielt den Film kurz vor dem Unfall.“
„Woher wissen Sie das?“, erkundigte sich Penta.
„Weil neben ihrem Notebook das aufgerissene Kuvert lag. Ich warf einen Blick auf den Poststempel.“
„Besitzen Sie das Kuvert noch?“
„Es liegt wohl noch auf dem Tisch. Ich achtete nicht weiter darauf, sah mir nur kurz die DVD an“, er stockte, „und überlegte drei Tage, was ich unternehmen sollte.“
„Vielleicht hat man ihr mit der Veröffentlichung gedroht“, erwog Starhovsky.
Mohr schüttelte zweifelnd den Kopf.
„Auch dann hätte sie sich nicht umgebracht. Selbst dann nicht, wenn man ihre Karriere ruiniert hätte, Klara war ihr viel wichtiger.“
„Haben Sie jemandem von dem Video erzählt?“, fragte Penta.
Der Banker starrte ihn aufgebracht an.
„Nein, niemandem.“
„Nicht einmal Ihrer Frau?“
„Der schon gar nicht. Sie wäre imstande, sich deswegen scheiden zu lassen.“ Er klang bitter.
Starhovsky nickte.
„Wir werden unsere Unterredung fortsetzen, wenn der Film analysiert ist. Fahren Sie jetzt nach Hause?“
„Ja.“
„Herr Penta wird später vorbeikommen, um das Kuvert abzuholen.“
„Sagen Sie meiner Frau nur, dass Sie mit mir geschäftlich sprechen müssen. Verraten Sie ihr um Gottes willen nicht Ihren Beruf.“
Mohr stand auf, schüttelte Starhovsky die Hand und nickte Penta zu. Der erhob sich ebenfalls, begleitete den neuen Kunden bis zur Tür und vergewisserte sich, dass sie hinter ihm ins Schloss fiel.
„Was meinen Sie?“, fragte ihn der Graf gleich darauf.
„Unappetitlich. Ich sehe einmal nach, ob ich brauchbare Prints finde.“
Tatsächlich fand Penta mehrere Fingerabdrücke, die er zur Prüfung an die Polizei schickte. Für die Detektei Starhovsky kein Problem: Der alte Schnüffler verfügte über bessere Kontakte in alle Ebenen des Systems als der Polizeipräsident selbst.
Genau dieser Präsident stand drei Stunden danach höchstpersönlich vor Starhovskys Schreibtisch, erklärte seinem guten Freund den Grund seines Besuchs und nahm anschließend die DVD und das mittlerweile abgeholte Kuvert an sich.
4___
Chefinspektor Terry Fuchs lenkte den Mietwagen über das schottische Hochland und murmelte Beschwörungsformeln, um seine angespannte Muskulatur zu lockern. Er war ein routinierter Fahrer, frei von den Schwächen der Jugend und des Alters, doch die vertrackte Linksregel auf dieser Insel setzte ihm hart zu. Er musste sich so sehr darauf konzentrieren, nicht auf die richtige, also die rechte Seite der Straße zu wechseln, dass seine übliche Sicherheit darunter litt. Samantha tat, als merkte sie nichts. Sie hatte den Sitz weit zurückgeschoben und die nackten Beine auf das Armaturenbrett gelegt. Dass ihr das luftige Kleid hochgerutscht war, beachtete sie in ihrer sommerlichen Laissez-faire-Laune nicht. Fuchs fragte sich bei jedem entgegenkommenden LKW, wie viel dessen Insassen davon mitkriegen mochten. Seine Freundin kümmerte sich nicht darum. Sie genoss die Fahrt.
Auf ihre jüngste Versöhnung – er hatte nach dem dritten Mal aufgehört zu zählen – war ein erstaunlich heftiger Beziehungsfrühling gefolgt. Die Münchner Möbeldesignerin mit der Modelfigur hatte eine neue erotische Vielseitigkeit entwickelt und er folgte ihr wie ein verliebter Kater, ein wenig perplex, aber willig und zufrieden. Spontan hatten sie sich zu dieser Reise entschlossen und nun ließen sie Herrensitze, Schlösser, Burgen und Märchenlandschaften an sich vorüberziehen, ohne viel davon wahrzunehmen. Faktisch liebten sie sich quer durch Schottland, und wenn Fuchs irgendetwas daran bedauerte, dann nur, dass sie nicht ein straßenverkehrsmäßig zivilisiertes Reiseziel gewählt hatten. Samantha wechselte in den Lotussitz, was zu einem weiteren unzüchtigen Anblick führte.
Als Fuchs die Polizeisirene hörte und das Blaulicht im Rückspiegel sah, dachte er deshalb gleich, jemand habe sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, Gefährdung der Sicherheit oder etwas in dieser Art angezeigt. Er fuhr an den linken Straßenrand, ließ die Scheibe herunter und wartete ab, was folgen würde. Samantha brachte so viel Anstand auf, die Füße auf den Boden zu setzen und den Kleidersaum einige Zentimeter weit nach unten zu schieben.
Der Verkehrsbulle sah aus, als hätten seine Eltern ihn direkt von einem Whisky-Etikett kopiert. Fuchs glaubte es kaum, als er von diesem Edelschotten sehr höflich auf Deutsch angesprochen wurde.
„Chefinspektor Terry Fuchs von der österreichischen Kriminalpolizei?“
„Ja.“
„Sie haben im Urlaub Ihr Handy ausgeschaltet, das verstehe ich gut.“ Der Blick des Polizisten schwenkte kurz zu Samantha, die ihn anlächelte. Fuchs erkannte Spurenelemente eines Lächelns auch in den Augen des Beamten, doch dessen Stimme blieb unverändert fest: „Ihr Vorgesetzter in Österreich ersucht Sie dringend, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Sehr dringend, wie ich betonen soll. Ich bedaure das aufrichtig.“
Nun gestattete sich der Bulle tatsächlich ein winziges Lächeln, salutierte und kehrte zu seinem Wagen zurück. Mit einem kurzen Hupen und Winken fuhr er vorüber.
„Das gefällt mir nicht“, sagte Samantha.
„Mir auch nicht. Er hat dich für meine Urlaubsgeliebte gehalten.“
„Na und?“, begehrte sie auf. „Bin ich eine schlechte Geliebte?“
Fuchs begnügte sich mit der Andeutung eines dreckigen Grinsens, das sie als Kompliment auffassen musste. Danach aktivierte er seufzend sein Smartphone.
„Na endlich“, meldete sich Oberst Prettner.
„Freut mich auch“, erwiderte der Chefinspektor. „Was gibt es?“
Es gab den sofortigen Abbruch der Reise und den Rückflug nach Österreich auf Kosten des Steuerzahlers.
Man hatte in einer DVD-Hülle in Wien einen Abdruck von Franz Breuers Mittelfinger gefunden. Breuer stand ganz oben auf den Fahndungslisten wegen Mordes, Entführung, Freiheitsentzugs und Vergewaltigung; er war vor eineinhalb Jahren abgetaucht.
Kurz nachdem Fuchs in Klagenfurt zu arbeiten begonnen hatte, bekam er es mit einem abgründigen Fall zu tun. Breuer, ein damals gut situierter, gebildeter Hersteller von nicht rezeptpflichtigen Heilmitteln, hatte – laut späterer Aussagen seiner Frau – immer schon obsessiven Neigungen nachgehangen. Lange befriedigte er sie mit Prostituierten, dann begann er, Frauen zu entführen und zu missbrauchen. Wenn er genug von ihnen hatte, reichte er sie an einen Komplizen weiter, einen Psychopathen, der ganz scharf darauf war, Breuers Opfer zu schlachten und zu zerstückeln. Die Teile packte er in Plastiksäcke, die er auf öffentlichen Parkplätzen abstellte. Vier Frauen starben, ehe Fuchs und sein Kollege Lacher die Täter stellten. Der Psychopath wurde bei der Festnahme erschossen, Breuer gelang die Flucht, er verschwand spurlos. Fuchs hatte daraufhin sein Vorleben bis in die kleinsten Details durchwühlt, er war überzeugt davon gewesen, dass der Typ irgendwo weitermachen würde. In der Polizei galt Fuchs seither als Breuerexperte, was Oberst Prettner nun vor Glück beben ließ. Immerhin handelte es sich um seinen Chefinspektor, der deshalb in der Bundeshauptstadt so begehrt war.
Jetzt bestellen …