Tore des Bösen

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Klappentext

Das Dorf am Rande des Hügellandes, mit seiner kleinen Kirche und den beiden Gasthäusern kaum den Punkt auf der Landkarte wert, war zu neuem Leben erwacht. Doch einer seiner Bewohner hat schlimme, blutrünstige Träume. Er leidet und schweigt. Nicht jedes Schweigen ist Gold. Dennoch geht vorerst alles seinen gewohnten Gang. Dann verschwindet ein Mädchen und kurz darauf beginnt eine Mordserie, die keinen Stein auf dem anderen belässt. Tore des Bösen öffnen sich dem Leser. Liebe, Leidenschaft, Verschlagenheit und uralter, aus längst vergessenen, dunklen Quellen genährter Hass sind die Elemente dieses ungemein spannenden Thrillers. Ein Genuss für alle Freunde des Genres, ein Muss für alle Vertrauensvollen, die ihre Wohnungstür gelegentlich noch unversperrt lassen. Prädikat: Wertvolle Nachtlektüre!
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Rezension

Format: Kindle Edition

Habe dieses Buch vorgestern geladen und heute schon fertig. Gute Story aus einem Provinznest… Die Charaktere und Zusammenhänge sind gut getroffen und genial miteinander verbunden! Werde definitiv mehr von diesem Autor lesen. Weiter so!
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Leseprobe

Prolog
Das Mädchen kam langsam die Gasse herab. In einer halben Stunde würde es dunkel sein. Die hohen Hecken rechts und links waren wie massive Mauern. Sie zögerte unwillkürlich. Vielleicht hätte sie doch den Umweg über die belebte Straße machen sollen. Ein kühler Schauer lief ihr über den Rücken. ‘Da ist nichts’, sagte sie sich und ging schneller. Jeder hat manchmal dieses Gefühl, das ihn kurz erstarren lässt, oder das ihn zwingt, sich ohne Grund umzusehen oder eben ein bisschen schneller zu gehen. Auf einsamen Straßen passiert es, auch im Keller, wenn der Straßenlärm mit einem Schlag abgedreht ist und aus allen Ecken ungewohnte Stille dringt. Auch wenn man durch ein ruhiges Gebäude geht und an einem dunklem Zimmer vorüberkommt, dessen Tür halb offen steht. Manchen passiert es am hellen Tag inmitten einer Menschenmenge. In der Dämmerung, auf dem Heimweg durch ein menschenleeres Viertel, passiert es gar nicht selten.
Die Gasse war noch nie so schmal und lang gewesen, die Hecken nie so hoch. Sogar das Geräusch ihrer eigenen Schritte und des Mantels, wo Stoff auf Stoff schabte, war lauter als gewöhnlich.
‘Du spinnst! Da ist nichts!’
Nur noch die weit auseinander gezogenen Stufen, jede Stufe mehrere Schritte, unten sah sie die beleuchtete Straße. Nur eine Minute noch. Sie wäre umgekehrt, wenn es nicht so lächerlich gewesen wäre. Sie ging nun sehr schnell.
Er war eine halbe Stunde zuvor in die Gasse gebogen und hatte sich in der Nische versteckt. Er war der Jäger. Es gab kein bestimmtes Wild, nur Wild. Er hörte ihre Schritte von weitem. Er hörte ihr Zögern und ihre neu gefundene Entschlossenheit. Er hörte ihre Gedanken und ihr Geschlecht und ihr Alter. Langes, blondes Haar. Er regte keinen Muskel und atmete kaum. Die Augen hielt er geschlossen. Sie war noch fünfzig Meter entfernt, dreißig, zehn, fünf, drei, einen Meter. Er schnellte vor und packte sie und riss sie ins Versteck zurück, so rasch wie eine spitzzähnige Muräne, die sich im Riff verbirgt.
Ihr einziger Gedanke war ein lautloser Schrei. Dann verging er in Schmerz und Dunkelheit.Er wühlte in ihr wie ein durchgedrehter Schlächter im warmen Schwein. Seine Jacke war blutgetränkt bis weit über die Ellbogen hinauf. Das machte nichts. Das Aufbrechen des Wilds gehört zur Jagd. Mit einem Ruck zerriss er einen weiteren Lebensstrang, aus dem rotes, heißes Nass sprudelte.
Mit einem Ruck fuhr er hoch.Er sah die Leuchtziffern des alten Reiseweckers. Halb drei. Der Pyjamaoberteil klebte kalt auf der Haut, das Leintuch war nass. Auch der Haaransatz im Nacken und an der Stirn war nass. Sein Herz jagte in verhaltenem Galopp. Durch den Spalt zwischen den Vorhängen blinkten einige Sterne. Eine kühle Nacht, knapp über dem Gefrierpunkt. Es war sehr ruhig. Das Ticken des Weckers klang doppelt laut.
Der Mann im durchschwitzten Schlafanzug stöhnte. Woher kamen diese Bilder, woher diese Träume? Wieso mordete er in seinen Träumen in einem fort? Es musste eine Erklärung geben.
Er machte Licht, schüttete aus dem Krug Wasser in ein Glas, nahm zwei bereitliegende Tabletten und spülte sie hinunter. Er löschte das Licht und legte sich zurück. Es war widerlich, im kalten Schweiß zu liegen, aber er war zerschlagen, todmüde, viel zu müde, um sich umzuziehen.
Das ging jetzt seit zwei Jahren so. Nur in den Tagen seiner Kur war er davon verschont geblieben. Man könnte meinen, es habe mit dem Ort oder dem Haus zu tun. Aber er hatte schon früher hier gelebt, lange vor den Träumen. Der Beginn der Träume – seine private Zeitenwende. Was davor lag, erschien aus heutiger Sicht wie ein goldenes Zeitalter. Dabei hatte er nur ein ganz normales, durchschnittliches Leben geführt. Das war es! Ein normales, durchschnittliches Leben! Normale, durchschnittliche Menschen können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, Nacht für Nacht in blutige Abgründe zu tauchen. Seine Träume waren so grausam realistisch, so voll von Farben und Gerüchen und Geräuschen, so voller Angst und Schmerz, dass kaum ein Unterschied zum wirklichen Erleben blieb. Er war beim Arzt gewesen und hatte über Schlafstörungen geklagt. Körperlich war er gesund. Er bekam ein Beruhigungsmittel verschrieben und schluckte es. Er besorgte sich stärkere Mittel und schluckte bald viel zu viele davon, aber reiner Zucker hätte nicht weniger bewirkt. Es war, als ob ein Fluch auf ihm lastete. Unter Tags ging er seiner Arbeit nach, nachts stieg er hinab in eine Welt des Irrsinns und der Zerfleischung, wo er in Blut und Feuer watete, Dinge sah und Dinge tat, die ihn nicht mehr losließen. Und immer stärker wurde sein Glaube, er habe das alles tatsächlich schon einmal gesehen und getan. Fast jeder Mensch erlebt Augenblicke, in denen ihn die unwiderstehliche Gewissheit überkommt, er habe die Situation, in der er sich gerade befindet, bereits einmal erfahren. Und zwar nicht etwa eine ähnliche Situation, sondern haargenau diese, auf Punkt und Komma genau und identisch. Das dauert wirklich nur Augenblicke, dann geht alles wieder seinen gewohnten, erstmaligen Gang. Doch es prägt sich ein. Bei ihm waren viel längere Zeiträume betroffen und er hatte wache Momente, da war er der Knüttelmann und der Messermann und der Klauenmann und was der lächerlichen Namen mehr sind, die vielleicht von einer Sekunde zur anderen blutiger Ernst werden.
Ein Wunder, wie er nach außen hin sein früheres Leben in Gang hielt. Er glich einem ausgebombten Haus, dessen Fassade stehen bleibt, obwohl innen alle Decken und Mauern wie Kartenblätter in sich zusammengefallen sind.
Er galt als ruhig und höflich, ein zuverlässiger Mann, ein Mann, der hielt, was er versprach. Er hatte ein Büro für sich. Auf der Tür stand sein Name. Seltsamerweise erinnerte er sich momentan nicht an seinen Namen. Oberamtsrat! Hieß er wirklich Oberamtsrat? Na, das war ja egal. Morgen würde er den Namen lesen und sich erinnern. Parteienverkehr von neun bis elf. Er ließ sich das auf der Zunge zergehen. Parteienverkehr. Ja, mit Verkehr hatte er zu tun. Straßen…, breite und schmale.
Mit einem Mal stand er wieder in der dunklen Gasse, über das Mädchen gebeugt, das ihm verstohlen zuzwinkerte. Sein Gesicht kam ihm bekannt vor. Aus ihrem zerfetzten Bauch hingen Adern wie abgerissene Schläuche. Sie sagte etwas, das er nicht verstand. Wie konnte sie reden, wenn kein Tropfen Blut mehr in ihr war? Böses Blut. Er war bedeckt mit ihrem Blut. Wie Säure brannte es sich durch seine Jacke, verätzte Unterarme und Hände. Er hielt die Arme hoch und lief durch die Straßen. Muskeln und Sehnen lagen frei, die Haut hatte sich abgelöst. Dann stand er in Feuer und Rauchschwaden. Schreie gellten ihm ins Ohr. Die wahnsinnigen Schreie der Eingeschlossenen.
Er bäumte sich auf im verzweifelten Versuch, den neuen Alp abzuwerfen, doch die Tabletten drückten ihn zurück. Die Nacht war längst noch nicht zu Ende.
Der Morgen kam strahlend und kalt. Überall wo im Freien Wasser stand, in Bottichen, Eimern, auf einem liegen gebliebenen Plastiksack, hatte sich eine dünne Eishaut gebildet, überzogen mit einer feinen, netzartigen Struktur. Männer und Frauen in Gummistiefeln und Arbeitskleidung, in dicken Jacken, mit Hüten oder Tüchern auf dem Kopf, stapften in die Ställe. Weiße Atemfahnen drangen aus ihren Mündern. Ihre Gesichter waren gerötet oder noch blass vom Schlaf. Aus den Kaminen drang frischer Rauch, weil die Frauen Holz nachgelegt hatten, ehe sie das Haus verließen.
Das Dorf am Rande des Hügellandes, mit seiner kleinen Kirche und den beiden Gasthäusern kaum den Punkt auf der Landkarte wert, war zu neuem Leben erwacht. Viele seiner Bewohner richteten ihren ersten Blick prüfend zum Himmel. Doch niemand sah den körperlosen schwarzen Stern, dessen Strahlen seit einigen Jahren wieder zögernd pulsierten, als sei auch er eben aus tiefem Schlaf empor getaucht. Niemand sah ihn. Dabei stand er genau im Zenit des Ortes, Tag für Tag, Nacht für Nacht.

1.
Dr. Terrazzo öffnete seine Praxis um neun. Er war der einzige Arzt in weitem Umkreis. Sein Einzugsgebiet umfasste ein halbes Dutzend Dörfer und die zahlreichen dazwischen verstreuten Höfe, aber auch einige Bergbauern, die er im Winter nur mit dem Motorschlitten erreichte. Er wusste, dass dieser Schlitten einigen traditionsbewussten Dörflern ein Dorn im Auge war, sein Vorgänger hatte sich jahrzehntelang mit einer Haflingerstute begnügt. Aber die meisten waren froh, dass es überhaupt einen Nachfolger gab. Der Beruf des Landarztes ist nicht das, wovon junge Mediziner gemeinhin träumen. Er hätte es sich selbst nicht träumen lassen, dass er die Karriere an der Universität einst gegen eine Provinzpraxis tauschen würde. Jetzt saß er in der allerfinstersten Provinz, die ein Stadtmensch sich ausmalen kann. Er trank die vierte oder fünfte Tasse Tee und zuckte die Achseln. Wozu sich darüber den Kopf zerbrechen? So schlecht hatte er es nicht getroffen. ‘Es ist ein Segen’, dachte er mit einem Anflug von Selbstironie, ‘wenn du über eine ordentliche Portion Phlegma verfügst.’
So phlegmatisch war er eigentlich nicht. Seine Gedanken schweiften zurück. Zwei, drei Jahre. Im August werden es drei Jahre. Und dann?
Im Vorzimmer bereitete die Assistentin alles vor für einen Arbeitstag, der vier Stunden Ordination und eine noch unbestimmte Zahl von Hausbesuchen umfasste. Manchmal kehrte er erst um neun oder zehn Uhr abends zurück, erschöpft und überdrüssig, weil zu seiner eigentlichen Aufgabe noch die viele Zeit kam, die er hinter dem Steuer verbrachte. Die Wege waren weit in seinem Sprengel. Andererseits – die Selbstironie gewann wieder Oberhand – würde er als Landarzt nie verhungern. Es hatte Monate gedauert bis er begriff, dass seine Patienten ernsthaft beleidigt waren, wenn er ihre Gaben zurückwies. Seither hortete er Eier und Speck, Schinken, Bauernbrot und Schnaps, Kuchen und Krapfen und gelbe Butter und dicke Milch. Die Menschen sahen es gerne, denn er war ihr Arzt und darum war es ihre Pflicht, für ihn zu sorgen. Langsam fühlte er sich wirklich als
ihr Arzt. Das amüsierte ihn.
Lautlos trat Maria ein. Sie trug Gesundheitsschuhe mit hölzernen Sohlen und schaffte es dennoch, lautlos zu gehen. Sie war jung und rosig und ein wenig zu ernsthaft mit der strengen Brille, die wie eine Schutzmaske auf ihrer Nase saß. Stumm legte sie die Karteikarte des ersten Patienten auf seinen Tisch und stumm verschwand sie wieder. Eine stumme Fee, die ihm gegenüber immer noch Hemmungen hatte. Eine Provinzfee.
Er las den Namen auf der Karte und seufzte. Was immer dem alten Körner fehlte, er würde mit ihm ein Stamperl Schnaps trinken müssen. Dass ein Ordinationszimmer nicht der passende Ort dafür ist, so was fiel dem nicht ein. Die Tageszeit spielte auch keine Rolle. Warum kam der Kerl immer so früh? Automatisch tastete Terrazzo nach den Gläsern. Er hatte höchstpersönlich einen Nachmittag daran verwendet, die kleinsten zu besorgen, die in der Stadt aufzutreiben waren. Auf dem Land galten nun einmal einige Grundsätze, über die man sich nur um den Preis immerwährender Fremdheit hinwegsetzen kann. Was war ein Arzt wert, dem seine Patienten fremd blieben?
Er drückte auf die Sprechtaste und sagte: „Herr Körner, bitte.“

2.
Pfarrer Paul Weilrich saß in seinem Arbeitszimmer und blickte über ein aufgeschlagenes Buch hinweg ins Leere. Unerfreuliche, düstere Gedanken bedrängten ihn. In fünf Wochen feierte er sein 25-jähriges Jubiläum. 25 Jahre! Er fühlte noch die Hoffnung und Freude, mit der er in seine Kirche eingezogen war. Aber er fühlte sie nur mehr als Erinnerung. Wie hatte er damals geglaubt! Wie hatte er an dieser süßen Droge gehangen, immer bereit alles zu geben, alles zu verstehen, alles zu verzeihen. Jetzt hatte die Droge ihre Wirkung verloren. Jetzt war er ein Mann jenseits der Fünfzig mit ganz banalen, irdischen Problemen, die er aufgrund seines Berufes noch schlechter verkraftete als andere. Versetzung in den Laienstand. War das ernst gemeint oder kokettierte er nur mit dem Gedanken? Aber mit den Problemen eines Mannes jenseits der Fünfzig konnte er fertig werden. Auch andere Pfarrer waren damit fertig geworden, hatten Nischen gefunden und Fakten geschaffen, die offiziell verpönt, aber im konkreten Fall meist ignoriert wurden. Die Probleme der Männer über fünfzig! Als ob es nicht in jedem Alter Probleme gäbe! Nur wird die Last im Lauf der Jahre immer schwerer. Irgendwann gerät sie außer Kontrolle und dann beginnt die Krise.
Einige ungerechte Momente lang zürnte der Pfarrer allen Männern, die mit Schwierigkeiten kämpften, die geringer waren als die seinen. Denn auf ihm lag noch eine zusätzliche Bürde, eine zusätzliche Last, die ein Laie kaum begreifen kann.
Dürfen Christen wirklich alles beichten? Gibt es nicht eine Grenze dessen, was sie anderen Menschen zumuten dürfen? Ist nicht auch der Pfarrer ein Mensch?
Aber das war nicht das Problem. Ja, jede Tat darf gebeichtet werden, ausnahmslos jede, so schwer sie auch wiegt. Doch der Fall, der ihn bis an die Grenzen seines Verständnisses (auch seines Verstandes?) führte, lag anders. Weilrich vermutete, nein, mehr noch, er wusste, dass jener Sünder nicht beichtete, um von Gott Vergebung zu erlangen. Er beichtete, um seinen Beichtvater zum unfreiwilligen Mitverschwornen zu machen. Er wollte aus seinen widerlichen Verbrechen weiteres sadistisches Kapital schlagen, indem er den einzigen Menschen einweihte, der sein Wissen nicht preisgeben durfte. Dieser Schuft hatte Gott und die Welt verhöhnt mit dem, was er getan hatte und nun verhöhnte er Gott und seinen Diener, indem er sich vor ihnen damit brüstete. In Wahrheit bereute er nichts, trotz seiner verlogenen Beteuerungen. Er empfand immer noch Vergnügen bei der Erinnerung an das Unvorstellbare. Pfarrer Weilrich sah das verschlagene kleine Lächeln vor sich, mit dem der Mann ihn grüßte, wenn er in Begleitung von Familie und Freunden zur heiligen Messe kam. Die Leute glaubten, es sei das Lächeln eines gewitzten Greises, aber es war das wissende Lächeln des Komplizen. Ein Lächeln, das er am liebsten mit bloßen Fäusten aus diesem Gesicht geschlagen hätte.
Sein Blick verfing sich am Kreuz mit der Christusfigur.
„Ich habe nicht Deine Kraft“, sagte er bitter. „Und meine eigene nimmt ständig ab.“
Das Glockenspiel der Wanduhr läutete die zweite Vormittagshälfte ein. Hatte er Grete gesagt, dass er auswärts essen würde? Ja, gestern Abend schon. Er schlug das Buch zu und betrachtete sich im Spiegel. Hager war er geworden. Er trug den grauen Straßenanzug fast schon wie einen Umhang. Ein Glück, dass man noch einen Mantel brauchte. Kein Hut. Das Priestergesicht lässt sich nicht verbergen, aber mit Hut wird es zur Wanderausstellung. Andere Berufe tragen auch ihr Stigma durch die Landschaft, doch der Rauchfangkehrer lässt sich mit Wasser und Seife auslöschen. Ein Priestergesicht lässt sich nicht wegschrubben. Er verzog die Lippen. Es ist die Seele. An den Rändern leicht angetrocknet.
Weilrich holte den Mantel aus der Garderobe, verließ das Pfarrhaus und setzte sich in den kleinen Fiat, der davor parkte. Natürlich schwarz. Er verzog wieder die Lippen. Eine Gruppe lachender Kinder grüßte ihn, wich zuvor aber weiträumig aus. Hochwürdens Fahrstil diente seiner Gemeinde als bester Beweis, dass ihr Geistlicher Gott sehr nahe stand. Er bog unfallfrei auf die Hauptstraße und fuhr Richtung Stadt. Seiner Haushälterin hatte er gesagt, dass er sich mit einem Kollegen aus dem Priesterseminar treffe. ‚Wenn Grete wüsste…’, dachte er zum hundertsten Mal. Die Landeshauptstadt war eine knappe Fahrstunde entfernt. Weilrich stellte den Wagen in einem Außenbezirk ab und benützte den Bus. Der dichte Verkehr behagte ihm nicht. An der Zentralstation stieg er aus. Von hier waren es wenige Minuten bis zu dem kleinen Lokal, in dem sie sich schon mehrere Male getroffen hatten. Obwohl fast alle Tische frei waren, saß Monika ganz hinten. Sie stand auf, als er eintrat. Er drückte ihre Hand. Sie küssten sich nie in der Öffentlichkeit. Der Teufel schläft nicht. Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte er. Sie würden eine Kleinigkeit essen und dann in ihrer Wohnung Kaffee trinken. Das ging nur in der Stadt. Landpfarrern ohne Städte in der Umgebung bleibt wirklich nur die Haushälterin. Er dachte an Grete und sein Lächeln bekam einen gequälten Ausdruck, der sich rasch wieder verflüchtigte. Monika hatte einen Schuh ausgezogen und ihren Fuß in sein Hosenbein geschoben. Mit der Zeit, hoffte Weilrich, würde auch sein Gesicht wieder ganz lebendig werden.
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